Der dreizehnstöckige Waschbetonriegel thront wie eine Festung an der Frankfurter Allee - Ecke Ruschestraße. Ein Haus der tausend Fenster. Ein braun-rötliches Monstrum der Macht. Nach außen abgeschottet, innen leblos. Lange drehte sich auf dem Dach ein Werbeschild der Bahn, stolz wie der Mercedes-Stern auf dem Europa-Center tief im Westen. Das Bahn-Emblem versprach Aufschwung und eine neue Ära. Längst ist es über den Dächern von Lichtenberg wieder verhüllt, nichts dreht sich mehr.

In diesem Sommer verlassen die letzten Flüchtlinge die Plattenburg. Genannt Haus 15 - TEO 1-3. TEO steht für Teilobjekt. Zuletzt genutzt als Notunterkunft. Nun wird das Gebäude wieder „besenrein“ übergeben. Eigentümer und Senat hatten sich in der Frage der Miethöhe zerstritten. Jetzt steht der riesige Plattenbau wieder leer. Einst Dienstsitz der DDR-Auslandsspionage. Mielkes beste Truppe. Die HV A, Abkürzung für Hauptverwaltung A. Sie nannten sich „Kundschafter des Friedens“ – die Spione der DDR. Ihr Chef Markus Wolf war lange einfach nur der „Mann ohne Gesicht“. Herr über viertausend Mitarbeiter. Eine deutsche Topkarriere. Arztsohn. Journalist bei den Nürnberger Prozessen. Spionagechef im Kalten Krieg. Als Polit-Rentner Kochexperte und gefragter Talkshow-Gast im vereinten Deutschland. Verstorben am 9. November 2006.

Im Inneren von Haus 15 führen endlose Flure durch tote Trakte mit neuen Fenstern und billig verlegten Teppichböden. An manchen Wänden hängen Piktogramme. Eine durchgestrichene Flasche signalisiert, Alkohol ist hier verboten. Ein Finger auf dem Mund bittet leise zu sein. Ein Pfeil zeigt, wo Berater weiterhelfen. Merkwürdig. Es riecht nach Wofasept, einem volkseigenen Desinfektionsmittel. Der Duft der DDR. Als lebte Honeckers Republik weiter und wäre nicht vor 27 Jahren untergegangen. Am Ende eines langen Flures führt eine Treppe hinunter in den Keller. Nach mehreren Stahltüren taucht ein Schild auf. Sauna steht dort in blauer Schrift auf braunem Grund. Hier also schwitzte die Stasi. Ich nehme an, wohl kaum Markus Wolf persönlich. Es werden wohl eher seine Offiziere und höhere Dienstränge gewesen sein. Aber wer weiß das schon in einem Apparat, in dem Kafka-gleich alles geheim war, selbst der richtige Name des Zimmernachbarn. Ein gekacheltes Wandmosaik ziert die Sauna, in der Mitte ein großzügiges Tauchbecken. Rüdiger Kunz, Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes und zeitweiliger „Hausherr“ von Haus 15: „Wir haben nicht damit gerechnet, dass es hier eine Sauna gibt. Sie war vor einigen Monaten noch halbwegs intakt. Es gab Sonnenliegen. Der Kessel war noch da. Das war alles sehr überraschend für uns.“

Haus 15 kann wahrhaft eine Menge über deutsch-deutsche Geschichte erzählen. In den siebziger Jahren für die aufstrebende HVA errichtet, wechselt das Gebäude nach der Einheit mehrfach den Besitzer. Erst übernimmt die Reichsbahn das Haus mit 34.200 qm Bürofläche. 1993 entsteht daraus die Deutsche Bahn, die das Haus 2011 wiederum an eine ARIS GmbH veräußert. Veräußert bedeutet in diesem Fall die Überlassung für einen einzigen Euro. Die ARIS Gruppe besitzt heute genau 50,4% an der Gesamtfläche des ehemaligen Stasi-Komplexes. Stillschweigend hofft der junge Unternehmer vom Balkan auf das große Geschäft. Er hat allen Grund dazu. In Berlin schießen die Immobilienpreise in die Höhe. Es sind Boomzeiten. Haus 15 ist nun sein Spekulationsobjekt. Obwohl die eher hässliche Stasi-Burg schon so lange leer steht. Ideen und Pläne? Deren gibt es viele: Hostel, Boarding House, Mikroapartments, Design Museum, Musik Akademie, Ökodrom. Realisiert wurde nichts. Hinter der ARIS-Gruppe verbirgt sich Milan Kostic, der sein Geld mit  einem Abriss- und Reinigungsunternehmen verdient.

Im Winter 2015 spült die Flüchtlingswelle gut 1.300 Menschen auf das Stasi-Gelände. Haus 15 dient als Notquartier, bewährt sich auf der ganzen Linie. Flüchtlinge finden Schutz, wo einst Unterdrückung organisiert wurde. Der Bürokomplex verfügt über eine intakte Infrastruktur. Speisesäle, Gemeinschaftsräume – ideal für Sprachunterricht oder Kinderbetreuung -, separate Wohnmöglichkeiten für Familien in  den ehemaligen Büros. Auch die neunte Etage wird bezogen. Hier residierten einst die Stasi-Auslands-Referate für Syrien, Ägypten, Iran und Irak. Unterstellt der HVA-Abteilung III mit achtzig Mitarbeitern. Dort wurden geheime Informationen über den gesamten Nahen Osten gesammelt. Rüdiger Kunz vom Roten Kreuz: „Es ist faszinierend, wie hier Vergangenheit auf Gegenwart trifft.“

Im einstigen Arabien-Referat logieren nun keine Agenten mehr sondern Menschen auf der Flucht, aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Welche verrückte Wendung der Weltgeschichte! Mit Fragen nach der Vergangenheit ihrer neuen Berliner Unterkunft können die Flüchtlinge wenig bis nichts anfangen. Häufigste Reaktion ein Schulterzucken. Hauptsache - ein Dach über dem Kopf! Ein Syrer erzählt mir, er habe sich gewundert, wie riesig und doch bescheiden die deutsche Stasi-Zentrale sei. In Damaskus hätten Assads Geheimdienst-Leute vornehme Häuser und Villen bezogen.

In der neunten Etage von Haus 15, gleich neben dem Nahost-Referat weist ein unscheinbares Schild auf Raum 980. Hinter der Doppeltür ein großzügiges Büro mit Küche, Dusche und separaten Räumen. Von hier aus dirigierte Agentenchef Markus Wolf sein Schattenreich. Von seinem Fenster konnte er quer über den Hof auf Haus 1 schauen. Dort saß Erich Mielke, der „Chef vom Ganzen“. Für Wolfs Büro hatte Rotkreuz-Mann Kunz ehrgeizige Pläne. „Der Plan war, hier eine Kita unterzubringen. Verwaltungstechnisch ist das natürlich kompliziert, eine Kita in der 9. Etage. Wir fanden das eine klasse Idee, dort jetzt Flüchtlingskinder tollen zu lassen.“

Daraus wird wohl nichts. Dagegen stehen pingelige Verwaltungsvorschriften und kleinteiliges Kompetenzgerangel. Aus dem angestrebten Kommunalen Integrationszentrums  des Roten Kreuzes, dem größten in Deutschland, scheint nun nichts mehr zu werden. Überhaupt: Die Zukunft des gesamten Geländes ist ungewiss. Abriss? Neubau? Weiterwursteln? Alles scheint möglich, nichts ist geklärt: Teure Wohnapartments, Museum oder Campus für Demokratie? Roland Jahn bedauert den Leerlauf. „Eine steuernde Hand ist notwendig, die hat bisher gefehlt.“ Jahn wirbt für seinen Plan von einem Campus für Demokratie. „Das heißt für mich: Wir wollen uns nicht Festhalten am Leid der Vergangenheit, sondern müssen in die Zukunft schauen. Die nächste Generation soll hierher kommen können und für sich etwas gewinnen. Freiheit leben, aber sich auch daran erinnern, was es bedeutet, wenn Menschen unfrei sind.“

Haus 15 ist das Herzstück im Sanierungsgebiet „Stadtumbau Ost“ Lichtenberg. TEO 1-3 drohen wieder in den Dornröschenschlaf zu fallen. Eine teure Leiche. Hoch subventioniert, ohne rettende Idee für die Zukunft. Ende August will sich der Senat der gesamten Stasi-Immobilie annehmen. Die zuständige Senatorin für Stadtentwicklung Katrin Lompscher erklärt: „Ich glaube, das Gelände ist zu groß für ein Freilichtmuseum. Es ist ein guter Ort, wo sich Dinge begegnen können und müssen. Wenn alle an einem Strang ziehen, dann muss es keine Dauergeschichte des Leides sein.“

Nur so viel steht fest: Haus 15 sorgt zuverlässig für weitere Pointen deutscher Nachwende-Geschichte. So müht sich derzeit eine Politikerin der Linken um die Zukunft der Stasi-Zentrale. Um das riesige Monstrum der Macht, einst gebaut, um die Herrschaft der Vorgängerpartei SED für alle Zukunft zu sichern.

 

Ein Text von Christhard Läpple

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