Carlo Jordan
geboren 1951 in Berlin
Carlo Jordan gehört zu jenen Zeitgenossen, die ganz in sich ruhen, sich kaum von etwas beirren oder aus der Ruhe bringen lassen. Das war vor 1989, das war 1989/90 und ist auch heute noch so. Er zählte dabei zu den prägnanten Köpfen der DDR-Opposition in den 1980er Jahren.
Der Bauingenieur wurde stark durch die antiautoritäre Studentenbewegung im Westen und den Prager Reformkommunismus beeinflusst. Ihm ging es zunächst um ein selbstbestimmtes Leben unabhängig vom Staat. Bis 1979 war er bei staatlichen Baubetrieben angestellt, ehe er ab 1980 in kirchlichen Einrichtungen als Bauleiter bzw. Dozent für Philosophie und Literatur tätig wurde. Seit Anfang der 1970er Jahre organisierte Jordan kulturoppositionelle Veranstaltungen in Berlin mit. Das MfS beobachtete und verfolgte ihn seit dieser Zeit kontinuierlich. Ab Anfang der 1980er Jahre begann er sich in Friedenskreisen zu engagieren. 1986 zählte Carlo Jordan gemeinsam mit Wolfgang Rüddenklau und Christian Halbrock zu den Initiatoren der Berliner Umwelt-Bibliothek. 1988 gründete er das Grün-ökologische Netzwerk Arche und die Samisdatzeitschrift Arche Nova, praktisch eine Abspaltung und Weiterentwicklung der Umwelt-Bibliothek. Die Arche dokumentierte die Umweltsituation und den Städtezerfall in der DDR. Einige der Videos wurden von westlichen Fernsehsendern ausgestrahlt, so der Film Bitteres aus Bitterfeld, in dem erstmals die Umweltverseuchung einer ganzen Region in der DDR dargestellt wurde. Solche Beiträge halfen, den kritischen Blick der Menschen auf ihre Lebensverhältnisse zu schärfen.
Carlo Jordan zählte während der Revolution 1989 zu jenen Personen, die davor warnten, die DDR in einem zu schnellen Prozess mit der Bundesrepublik zu vereinigen. Er befürwortete die deutsche Einheit auf dem Wege der Einberufung einer deutschen Nationalversammlung nach Art. 146 des Grundgesetztes. Gleichwohl war er kein Vereinigungsgegner. Im November 1989 gehörte er zu den Mitbegründern der Grünen Partei in der DDR. Am Zentralen Runden Tisch, der vom Dezember 1989 bis März 1990 tagte, trat er als Sprecher der Grünen auf. Bis zur Vereinigung der Berliner Parlamente war er Mitglied der im Mai 1990 gewählten Ostberliner Stadtverordnetenversammlung, dann 1994/95 des Berliner Abgeordnetenhauses.
Im Januar 1990 zählte er zu den Initiatoren der Gedenk- und Forschungsstätte Normannenstraße, die in der ehemaligen MfS-Zentrale errichtet wurde. Immer wieder hat er sich seither in Publikationen zur Geschichte der DDR-Opposition geäußert. 2000 promovierte er an der Freien Universität Berlin mit einer Dissertation zur Geschichte der Militarisierung der Humboldt-Universität zu Berlin. Carlo Jordan gehört zu jenen Oppositionellen, die das vereinigte Deutschland mit auf den Weg brachten, aber denen das nicht annähernd gebührend gedankt wurde.
Ilko-Sascha Kowalczuk