Udo Hartmann

geboren 1962 in Espenhain

Im Herbst 1989 wurde in Leipzig aus einer eher zahlenmäßig bescheidenen Demonstration am Messemontag vier Wochen später jene Massenbewegung, die schließlich zum Mauerfall am 9. November führte. In der ersten Reihe des Demonstrationszuges lief damals auch Udo Hartmann. Er wollte nicht wie Tausende andere ausreisen, nein, Leipzig und seine malträtierte Umgebung, das war seine Heimat, die es zu erneuern galt. Einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, den wollte Hartmann haben. Und er wollte vor allem reisen in die weite Welt. Deshalb trug er an jenem 4. September das Plakat mit der Aufschrift „Gegen den Strom – Freies Reisen für alle“ durch die Innenstadt.

An diesem Montag hielt sich vor den Augen der (Messe-)Weltöffentlichkeit der Staatsapparat noch zurück. Den Demonstranten wurden zwar die Plakate entrissen, aber niemand wurde verhaftet. Hartmann: „Das war schon komisch. Als sie mein Plakat runterfetzten, hatte sich das Plakat um mein Handgelenk gewickelt. Sie haben mich aus der Demo gezogen. Ich hab die aber gar nicht interessiert. Sie haben nur das Plakat von meiner Hand gewickelt – und weg waren sie.“

Dafür schlugen Staatssicherheit und Polizei eine Woche später bei der nächsten Montagsdemonstration umso härter zu. Fast 100 Menschen wurden verhaftet, auch Udo Hartmann war darunter. Vier Wochen lang saß er im Gefängnis, verpasste damit sogar den Tag der Entscheidung, den 9. Oktober, als 70.000 friedliche Demonstranten der SED-Macht das Fundament entzogen.

Von den Entwicklungen der Leipziger Montagsdemonstrationen bekam Udo Hartmann in der Stasi-Untersuchungshaft kaum etwas mit. „Auf einmal wurde es aber im Knast ganz still, denn wir hörten die Sprechchöre von draußen. Da war natürlich richtig Stimmung. Es wurde gegen die Türen geklopft und gegen die Wände gehauen“, erinnert er sich. Wenige Tage nach jenem geschichtsträchtigen Tag war er wieder frei und fortan dabei beim rasant schnellen Untergang eines Staates.

Hartmann gehörte zum harten Kern der Bürgerrechtsbewegung. Seine Heimat war Espenhain, wo er zwischen Dreck und Gestank aufgewachsen war. 1983 hatte er Kontakt zur Jungen Gemeinde der Leipziger Nikolaikirche bekommen. Seitdem engagierte er sich politisch, unter anderem in der Initiativgruppe Leben. Schon im Januar 1989 war er wegen der Verteilung von Flugblättern für eine Gegendemonstration zum offiziellen Aufmarsch für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Leipzig inhaftiert worden. Im Oktober 1989 gehörte Hartmann zu den Mitgründern des Neuen Forums in Espenhain. Bald danach wurde er Gemeinderat für die Bürgerbewegung in seinem Heimatort.

Bis Juni 1989 arbeitete Udo Hartmann im Tagebau Espenhain. Dann war er Hilfsaltenpfleger, später absolvierte er eine Ausbildung zum Altenpfleger und ist heute bei der Inneren Mission im Marthahaus Leipzig tätig.

Seinen Wunsch des freien Reisens erfüllt sich Udo Hartmann nun schon seit 20 Jahren. Zuletzt war er wieder einmal ganz weit weg – irgendwo in pazifischen Gefilden.

Thomas Mayer

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