Vera Lengsfeld

geboren 1952 in Sondershausen

Auf alten Fotos der DDR-Opposition fällt sie einem meist als Erste ins Auge: Vera Lengsfeld gab der Bürgerrechtsbewegung in Ostdeutschland ein besonders anmutiges Antlitz. Dabei war ihr der oppositionelle Werdegang keineswegs in die Wiege gelegt. Sie wuchs in einem durch und durch systemkonformen Elternhaus auf. Ihr Vater arbeitete eine Zeit lang sogar beim DDR-Staatssicherheitsdienst. Sie selbst studierte marxistisch-leninistische Philosophie und arbeitete seit 1975 an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Im selben Jahr trat sie auch der SED bei.

Wie viele Parteigänger aus echter Überzeugung zweifelte sie jedoch bald an der SED-Politik. Theorie und Wirklichkeit klafften zu offenkundig auseinander. Weil sie ihre Kritik nicht für sich behielt, sondern sich oppositionellen Kreisen anschloss, leitete man gegen sie ein Parteiverfahren wegen „Abweichlertums“ ein.
Der Druck bewirkte allerdings das Gegenteil: Vera Lengsfeld entwickelte sich zur radikalen Kritikerin der SED. Und wie so oft, wenn man von einer politischen Idee enttäuscht wird, tat sie dies besonders entschlossen. Weil sie es 1983 wagte, öffentlich gegen die Stationierung sowjetischer Atomraketen in der DDR zu protestieren, wurde sie aus der SED ausgeschlossen und erhielt Berufsverbot. Danach musste sie sich als Imkerin und Übersetzerin durchschlagen, bis sie an einer kirchlichen Hochschule ein Theologiestudium aufnahm.

1987 beteiligte sie sich an der Gründung der Initiative Kirche von Unten, die sich gegen die politische Anpassung der ostdeutschen Amtskirche richtete. Sie engagierte sich bei den Friedenswerkstätten und Ökoseminaren im Schutzraum der Kirchen. Als sie 1988 mit einem selbst gemalten Plakat an einer Staatsdemonstration für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht teilnehmen wollte, wurde sie schon auf dem Weg dorthin verhaftet. Sie landete im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, wo sie heute Besuchergruppen führt. Doch da sich nicht nur in der DDR, sondern auch im Ausland Protest gegen ihre Verhaftung rührte, zog die SED es vor, sie zu einem kirchlichen „Studienaufenthalt“ nach England abzuschieben.

Vera Lengsfeld hätte deshalb beinahe die Friedliche Revolution verpasst. Erst am Morgen des 9. November 1989 ließ man sie wieder in die DDR. Dort stürzte sie sich mit der ihr eigenen Tatkraft in den Kampf gegen die bröckelnde SED-Diktatur. Noch am selben Abend war sie mit dabei, als in Berlin die Mauer gestürmt wurde. Bald darauf trat sie der neu gegründeten Grünen Partei bei, engagierte sich in der Verfassungskommission des Zentralen Runden Tisches und wurde Mitglied der ersten und letzten frei gewählten Volkskammer. Anschließend gehörte sie 15 Jahre dem Deutschen Bundestag an, erst für die Grünen, dann für die CDU.

Hubertus Knabe

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