Rainer Müller

geboren 1966 in Borna

„Das, was ich gemacht habe, war für mich selbstverständlich“, sagt Rainer Müller, groß geworden in Benndorf bei Frohburg, die Eltern christlich geprägt, LPG-Angestellte, der Sohn aufmüpfig von jeher. Keine Jugendweihe, Verteiler des Aufnähers Schwerter zu Pflugscharen in Klasse neun, was ihm als Best-Schüler unter fadenscheinigen Gründen die Verweigerung der Abiturausbildung einbrachte.

Müller war bekannt dafür, dass er fragte. Er schmiss schon mal den Unterricht und trieb seinen Staatsbürgerkundelehrer in die Verzweiflung. Die Staatsmacht reagierte. So blieb einem wie ihm nichts anderes übrig, als Maurer zu lernen. Die Facharbeiterprüfung legte er mit „gut“ ab, wurde in der Berufsschule sogar auf der Straße der Besten öffentlich gewürdigt, Protestler aber blieb er trotzdem: Teilnahme an einem Streik für bessere Arbeitsbedingungen, Antrag auf Bausoldatendienst, Totalverweigerung des Armeedienstes, Berufsverbot und Arbeitslosigkeit entgegen der Gesetze des Arbeiter-und-Bauern-Staates.

Müller war es gegeben, sich anzulegen. Zum Weltfriedenstag 1987 rief er beim Gottesdienst in der Bornaer Marienkirche dazu auf, die Arbeiten in den Braunkohletagebauen zu boykottieren und nicht weiter mitzumachen bei der Umweltzerstörung. Er interpretierte den Text Sag nein von Wolfgang Borchert, den dieser Dichter in seiner eigenen leidvollen Erfahrungen mit dem Zweiten Weltkrieg nach der Rückkehr nach Hamburg verfasst hatte – sag nein, wenn du Granaten drehen musst, sag nein, wenn du schießen sollst, „sag nein“, so Müller, „wenn deine Heimat zerstört wird“. Widerstand war für einen wie ihn nicht Jugendspaß, sondern Lebensernst. Die Maxime? „Wir wollten, dass dieses Land nicht kaputtgeht. Jeder, der sich so engagiert hat, wie ich es tat, dem war dabei klar, dass er mit einem Bein im Gefängnis stand. Halbe Sachen konnten, wollten wir nicht machen.“

Müller lernte die Bandbreite der staatlichen Sanktionen kennen – Verhaftung und Verhöre, Innenstadtverbot und Hausarrest, Bespitzelung und Geldstrafen. Die Stasi führte ihn als Operativen Vorgang „Märtyrer“. Schon am 1. Mai 1987 waren er und Verbündete mit Plakaten zur Demonstration gezogen, auf denen aus dem Sputnik oder sowjetischen Zeitungen stammende Zitate von Michail Gorbatschow zu lesen waren. Ein Slogan lautete: „Wir brauchen die Demokratie wie die Luft zum Atmen“, ein weiterer: „Das Volk braucht die ganze Wahrheit“. 1989 trugen Müller und seine Bürgerrechtsfreunde Uwe Schwabe und Frank Sellentin zum Abschluss eines Evangelischen Kirchentages ein Plakat mit der Aufschrift „Demokratie“ in deutscher und chinesischer Sprache. Es war ihr Protest gegen die blutige Niederschlagung der Demonstration in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens.

Ab 1988 bekam Müller für seine politische Tätigkeit ein Gehalt aus der Gruppenkasse des Leipziger Arbeitskreises Gerechtigkeit, war damit das Phänomen des Vollzeit-Revolutionärs.

Heute ist er freiberuflicher Historiker und engagiert sich in vielen sozialen Bereichen.

Thomas Mayer

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