Matthias Platzeck

geboren 1953 in Potsdam

Die „Feinde des Sozialismus“ kamen mit der Heckenschere. Am 20. Februar 1988 zogen 20 junge Leute den Potsdamer Pfingstberg zur Ruine des Belvedere hinauf. Sie hatten Spaten, Schaufeln und anderes Gartengerät dabei und wollten den Lennéschen Park von Müll und Gestrüpp befreien. 

Einer dieser engagierten Bürger, die etwas gegen den Verfall ihrer Heimatstadt tun wollten, war Matthias Platzeck. Dem damals 34-Jährigen war der rücksichtslose Umgang der SED mit der historischen Bausubstanz Potsdams schon lange ein Dorn im Auge. Auch auf die Verschmutzung der Havel wollte er aufmerksam machen – ein Tabuthema in einem Staat, in dem Umweltpolitik vor allem eines war: Vertuschung.

Doch Platzeck hatte während seiner Zeit am Institut für Lufthygiene in Karl-Marx-Stadt und später bei der Hygieneinspektion in Potsdam selbst gesehen, wie schlimm es um die Umwelt in der DDR wirklich stand. Es gelang ihm, mithilfe eines speziellen Luftmesssystems extreme Smogwerte nachzuweisen. Die alarmierenden Daten aber wurden auf Anweisung von oben unter Verschluss gehalten. Platzeck war desillusioniert, gab jedoch nicht auf. Sowohl die AG Pfingstberg als auch ARGUS – die Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung – meldete er beim Kulturbund an.

Platzeck und seine Mitstreiter wollten Freiräume erkämpfen, möglichst ohne Verfolgung durch den SED-Staat zu riskieren. Für die Stasi waren sie trotzdem Staatsfeinde. Das von Platzeck mitorganisierte Pfingstbergfest am 10. Juni 1989 hielt einen nicht unbeträchtlichen Teil der örtlichen MfS-Mitarbeiter auf Trab. 3.000 Menschen feierten gemeinsam, hörten Musik und träumten von einer besseren Welt. Heute gilt das „Woodstock des Ostens“ als Anstoss für die Friedliche Revolution in der SED-Hochburg Potsdam. Als doch noch die Erlaubnis für ein bereits verbotenes Treffen von Umweltgruppen aus der ganzen DDR eingeholt werden sollte, setzte Platzeck auf Kommunikation statt auf Konfrontation. Mit Erfolg: Er schwatzte in einem Gesprächsmarathon den Partei- und Staatsinstitutionen die Genehmigung ab. Aus dem losen Zusammenschluss der Ökogruppen ging während des Zusammenbruchs der DDR im November 1989 die Grüne Liga hervor.

Der Bürgerrechtler wurde über Nacht zum Politiker. Platzeck saß am Runden Tisch, wurde Minister im Modrow-Kabinett und zog im März 1990 für die Grüne Partei in die erste frei gewählte Volkskammer. Im Oktober 1990 gelang ihm der Sprung in den Brandenburger Landtag, Ministerpräsident Manfred Stolpe machte ihn zum Umweltminister. Seit Juni 2002 ist Platzeck Ministerpräsident in Brandenburg. Er bleibt ein Mann des Ausgleichs, ein Moderierer mit Hang zur Harmonie.

Dass Platzeck sich nach der Landtagswahl im September 2009 für eine Koalition mit der von ehemaligen Stasi-Spitzeln durchsetzten Linkspartei entschieden hat, können ihm manche seiner früheren Weggefährten nicht verzeihen. Sie werfen im Verrat an den Idealen der Friedlichen Revolution vor. Seiner Beliebtheit tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil, bei seinen Wählern ist Platzeck populärer denn je.

Ariane Mohl

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