Aram Radomski

geboren 1963 in Neubrandenburg

Sein „DDR-Erlebnis“ hatte Aram Radomski im Februar 1983 kurz vor seinem 20. Geburtstag. Er studierte in Plauen, ging zu einer Faschingsveranstaltung ins Kulturhaus, flirtete mit zwei jungen Frauen, spendierte Wein. Da packten ihn zwei Hünen, schliffen ihn aus dem Saal, verprügelten ihn, traten mit Füßen auf ihn ein. Umstehende riefen nach einem Krankenwagen. Die Männer warfen ihn in ein Auto. Ihm schwanden die Sinne.

Wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ stand er mit blutunterlaufenem Gesicht Tage später vor Gericht. Er hoffte, die falsche Anschuldigung aufzuklären. Doch der Richter fragte nicht, rief keine Zeugen auf. Urteil: elf Monate. Immerhin milderte die obere Kammer die Strafe auf sechs Monate. Er saß sie bis zum letzten Tag ab. Als er das Gefängnis in Zeithain bei Riesa verließ, blickte er zurück, obwohl ihn Mitgefangene davor warnten. „Das bringt Unglück!“ Er musste diesen Bau sehen, der ihn sechs Monate seines Lebens gekostet hatte.

Aram Radomski fühlte sich unschuldig, nahm sich vor, es denen heimzuzahlen, die im DDR-System dafür verantwortlich waren. Die Attacke war, wie er heute weiß, eine Stasi-Inszenierung, sollte seinen Vater, den Schriftsteller Gerd Neumann, treffen und aus dem Land treiben.

Radomski zog nach Berlin, lebte von Fotoarbeiten, fertigte als Foto an, was in der DDR als Drucksache nicht zu haben war. Reißenden Absatz fand sein Aufkleber „Bitte Abstand halten!“. 

Im Herbst 1988 zog ihn der unangepasste DDR-Bürger Siegbert Schefke ins Vertrauen. Er suche einen „Kameramann“, denn er arbeite insgeheim fürs Westfernsehen, filme für die Sendung Kontraste Dinge, die Westkorrespondenten verborgen blieben. „Ich brauche einen, der die Kamera still hält, der erkennt, das ist ein Bild fürs Fernsehen und das keines.“ Radomski: „Mir schoss sofort durch den Kopf: Das ist es! Das kann ich moralisch vertreten. Das ist keine billige Rache, sondern Arbeit für eine gerechte Sache. Es könnte im Knast enden. Sollte es dazu kommen, weiß ich, wofür ich sitze.“ Laut sagte er: „Ich bin dabei!“

Nun fuhren sie zu Orten, an denen die DDR etwas verbergen wollte: zum Silbersee in Bitterfeld, in den das Chemiekombinat giftige Abwässer entsorgte, nach Espenhain, wo der Braunkohleabbau Umweltschäden hinterließ, filmten den Städteverfall.

Ihr Bravourstück machten sie 1989, als in Leipzig Zehntausende auf die Straße gingen. Die DDR hatte Westkorrespondenten strikt verboten, nach Leipzig zu fahren. Schefke und Radomski filmten von Fußgängerbrücken über dem Stadtring (die Stasi-Leute neben sich grüßten sie mit „Guten Abend, Genossen“), vom Dach des Hochhauses am Bahnhof, vom Turm der Reformierten Kirche am Tröndlinring. Tagesthemen-Moderator Hanns-Joachim Friedrichs kündigte tags darauf die aufregenden Aufnahmen so an: „Ein italienisches Fernsehteam, das am Montag in Leipzig war, übermittelte uns die Bilder.“

Aram Radomski wurde wie viele andere erst durch ungerechtfertigte Repression und Verfolgung zum Staatsfeind.

Karl-Heinz Baum

Kontext

Blog aufrufen
Kontakte aufrufen
zum Seitenanfang