Reinhard Schult

geboren 1951 in Berlin

Im September 2009 feierte das Neue Forum sein zwanzigjähriges Bestehen. Einer, der die Geburt dieser wichtigsten Bürgerbewegung der DDR miterlebt hat, ist Reinhard Schult. Der Berliner gehörte zu den dreißig Erstunterzeichnern des Aufrufs „Aufbruch 89 – Neues Forum“, die sich am 9. und 10. September 1989 auf dem Grundstück von Katja Havemann in Grünheide trafen.

Zur Opposition musste Reinhard Schult nicht erst erzogen werden. Als Kind war er in die Fluchtpläne seiner Mutter, einer Krankenschwester in Berlin-Kaulsdorf, eingeweiht. Die Ausreise der Familie, die für den 13. August 1961 geplant war, scheiterte am Stacheldrahtzaun. Er fand früh Anschluss in der Jungen Gemeinde und entzog sich dem staatlich verordneten Jugendprogramm. Das blieb nicht ohne Folgen: Seine „mangelnde gesellschaftliche Tätigkeit“ kostete ihn die Zulassung zur Erweiterten Oberschule. Stattdessen absolvierte er eine Ausbildung zum Baufacharbeiter mit Abitur. In der zwölften Klasse trat er aus der FDJ aus und verweigerte bei der Musterung den Dienst an der Waffe.

Als einem Freund 1979 die Flucht aus der DDR misslang, belastete er Reinhard Schult im Verhör als Mitwisser. Der Beschuldigte wurde wegen „Beihilfe zur Republikflucht“ verhaftet. Weil sich der Vorwurf nicht belegen ließ, verurteilte ihn das Gericht schließlich wegen „öffentlicher Herabwürdigung“ zu acht Monaten Gefängnis – der Staatssicherheitsdienst hatte in seiner Wohnung unter anderem Abschriften von Biermann-Texten gefunden. Schon vor der Haft hatte sich Reinhard Schult in kirchlichen Gruppen und oppositionellen Freundeskreisen engagiert. Nach seiner Entlassung wurde er zu einem der wichtigsten Akteure der Friedens- und Oppositionsbewegung in Ost-Berlin.

Er war in verschiedenen Friedenskreisen aktiv, gründete 1980 eine streng konspirative Gruppe und baute eine illegale Bibliothek mit verbotenen Büchern aus dem Westen auf. Er veranstaltete Diskussionsforen für ehemalige Bausoldaten und organisierte politische Bildungsseminare. Im Herbst 1986 begann der illegale Piratensender Schwarzer Kanal sein Programm auszustrahlen, die Idee dazu stammte von Reinhard Schult. Zusammen mit einer Gruppe von Dissidenten schrieb er systemkritische Texte, die vom Dachboden eines grenznahen Hauses in West-Berlin gesendet wurden. Ein Jahr später organisierte er den Kirchentag von Unten mit und gehörte zu den Initiatoren der Kirche von Unten.

Als er im September 1989 den Aufruf zur Gründung des Neuen Forums unterschrieb, ahnte er nicht, welche Lawine das Papier auslösen würde. Binnen weniger Tage folgten Tausende dem Appell. „Neues Forum zulassen“, lautete jetzt eine zentrale Forderung der Demonstranten in Leipzig, Gera oder Plauen. Reinhard Schult wurde Berliner Sprecher der Bürgerbewegung. Ab Dezember 1989 verhandelte er für das Neue Forum am Zentralen Runden Tisch und vertrat dort vehement die basisdemokratischen Ziele der Bürgerbewegung.

Gegen die Hinhaltetaktik, mit der die Modrow-Regierung die Auflösung der Geheimpolizei hinauszögerte, organisierte er am 15. Januar 1990 den Protest vor der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit mit. Nach der Volkskammerwahl leitete Reinhard Schult die Operative Gruppe im Staatlichen Komitee zur Auflösung der Staatssicherheit. Auch bei der Besetzung der MfS-Zentrale im September 1990, als es Oppositionellen gelang, mit einem Hungerstreik die Öffnung der Stasi-Akten durchzusetzen, war er wieder die treibende Kraft.

Von 1990 bis 1995 gehörte Reinhard Schult der parlamentarischen Gruppe Neues Forum/Bürgerbewegung im Berliner Abgeordnetenaus an. Das Neue Forum ist seine politische Heimat geblieben – auch wenn die Bewegung längst nur noch ein paar Hundert Mitglieder zählt. Gemeinsam mit anderen DDR-Oppositionellen meldete er sich auch nach der Vereinigung regelmäßig zu Wort: sei es 1999 mit einem Appell an die Bundeswehrsoldaten, den Einsatz im Jugoslawien-Krieg zu verweigern, oder 2001 mit dem Aufruf „Wir haben es satt“, der sich kritisch mit der Politik der rot-grünen Bundesregierung auseinandersetzte.

Reinhard Schult war stellvertretender Vorsitzender des Bürgerkomitees 15. Januar, welches die Zeitschrift Horch und Guck herausgab. Er arbeitete beim Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen in Berlin und für die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Brandenburg und beriet Menschen, die Opfer der SED-Diktatur waren.

Ilona Schäkel

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