Eberhard Seidel

geboren 1949 in Leipzig

Er sei keine Kämpfernatur, sagt er, aber auf schreiende Widersprüche müsse man die Menschen aufmerksam machen. Eberhard Seidels Vater gehörte eine kleine Fabrik, die später verstaatlicht wurde. Trotz seiner Herkunft, die ihn zum staatlich verordneten Außenseiter machte, kam Eberhard Seidel ungestört durch die Schulzeit und konnte das Abitur ablegen. Den jungen Mann störten in der DDR vor allem „die Widersprüche zwischen formulierter und erlebter Wirklichkeit“.

Während seines Medizinstudiums in Berlin engagierte er sich in der Evangelischen Studentengemeinde, wo er seine spätere Frau Jutta kennenlernte. Er schätzte die freidenkerischen und kreativen Diskussionen über Politik und Gesellschaft, die vom Studentenpfarrer angeregt und gefördert wurden. In diesen Jahren reifte in Eberhard Seidel ein Entschluss: Er möchte als Christ Friedensarbeit leisten.

Eberhard Seidel wollte sich als Facharzt dem Komitee Ärzte der DDR zur Verhütung eines Nuklearkrieges anschließen, was ihm nicht gestattet wurde. Dies sei kein Verein, dem man beitreten könne, erklärte man ihm. Zumal keiner der Offiziellen hören mochte, dass die Bedrohung eines Atomkrieges nicht nur vom Westen ausging. Diese Widersprüche bewogen Eberhard Seidel, 1983 zusammen mit seiner Frau und einigen Kollegen unter dem Dach der Kirche den Arbeitskreis Ärzte für den Frieden zu gründen, eine Art Gegenentwurf zur bereits bestehenden staatsloyalen Organisation. Die kritischen Ärzte setzten sich für die Abschaffung der Atomwaffen in Ost und West, soziale Gerechtigkeit, Meinungsfreiheit und Menschenrechte ein. Der Wunsch, in den Schulen über den Abbau von Feindbildern und über Friedenserziehung zu sprechen, wurde ihnen verwehrt.

„Ich wollte die DDR nicht unterminieren oder zu Fall bringen. Ich wollte etwas tun, um die Menschen aus ihrer Trostlosigkeit und Zukunftslosigkeit herauszuholen.“ 1989 gehörte Eberhard Seidel zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufes des Neuen Forums, ein Oppositionsbündnis, das wesentlich am politischen Umbruch mitwirkte. „Aber das wäre auch ohne mich gegangen. Wir waren nur die Katalysatoren, nicht die Speerspitze.“ Die Reaktionen auf den Aufruf waren enorm. Plötzlich saßen dreißig, vierzig Leute, die das Ehepaar Seidel vorher nicht kannte, in der Wohnung und redeten offen darüber, was in der DDR geändert werden musste.

In einer Arbeitsgemeinschaft des Zentralen Runden Tisches arbeitete Eberhard Seidel an Gesetzesvorschlägen für freie Wahlen mit, die Empfehlungen wurden jedoch von den Parteizentralen verworfen. Nach einem Jahr als Abgeordneter der ersten frei gewählten Berliner Stadtverordnetenversammlung spürte er physisch, wie das ist, „wenn die kreative Breite beschnitten wird, wenn bestehende Strukturen nicht infrage gestellt werden“.

Heute arbeitet Eberhard Seidel neben seinem ärztlich-friedenspolitischen Engagement wieder als Facharzt für Innere Medizin.

Nanette Hojdyssek

Kontext

Blog aufrufen
Kontakte aufrufen
zum Seitenanfang